Kunst- und Kulturgeschichte

Afroamerikanische Unterhaltungskünstler in Frankfurt am Main. Eine Chronik von 1844 bis 1945

von Hans Pehl

Foto: privat
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Vielleicht ist den Älteren unter uns noch das Lied „Petite Fleur“ in Erinnerung, komponiert und gespielt von Sidney Bechet, einem der ersten großen Jazzsolisten. Eine seiner früheren Kompositionen, „Negro Rhapsody“, trägt im Copyright den Vermerk „1928 Frankfurt a. M. Eiserne Hand 42“.

»Wer in Frankfurt in den 1950er-Jahren seine Jugend verbrachte, musste geradezu mit dem Jazz in Berührung kommen.«

Vor etwa 20 Jahren fragte der Jazzforscher William Russel meinen Bruder Klaus, damals Leiter des Orchesters „Ragtime Society“, ob der ungenannte Frankfurter Notendrucker zu ermitteln sei. Bis heute blieb er unbekannt, aber die Frage löste meine Recherchen zum frühen Jazz in Frankfurt aus, deren Ergebnisse zum ersten Mal in dem von Jürgen Schwab und mir geschriebenen Kapitel „Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik“ in Schwabs Buch „Der Frankfurt Sound“ (2. überarbeitete Aufl. Frankfurt am Main 2005) veröffentlicht wurden.

Nach der Lektüre der Schriften von Rainer E. Lotz, ohne dessen Pionierarbeiten keine Erforschung der bis 1945 nach Europa exportierten afroamerikanischen Unterhaltungskunst auskommt, wurde mir klar, dass die Spurensuche nach dem frühen Jazz nur einen Teil der TänzerInnen, SängerInnen und Musiker erschließt, die in Europa gastierten. Daher versuchte ich, möglichst viele Frankfurter Auftritte afroamerikanischer Unterhaltungskünstler zu finden und – nachdem die Stiftung Polytechnische Gesellschaft mein Thema für das Projekt „Stadtteil-Historiker“ angenommen hatte – in einer Chronik zu dokumentieren.

Um das nicht ganz unerwartete Ergebnis vorwegzunehmen:  Es waren viele, seinerzeit Prominente und Unbekannte, und sie waren beliebt. Es lässt sich – außer in der Erinnerung einiger Weniger – keine Nachwirkung auf die Entwicklung Frankfurts zur Jazzhauptstadt der ersten Nachkriegsjahrzehnte ausmachen, und es waren schon lange vor dem Ersten Weltkrieg auch in Frankfurt insbesondere der Tanz, der Gesang und „die eigentümlichen Melodien“ der Afroamerikaner, die das Publikum faszinierten. Erst Mitte der 1920er-Jahre hatten Revuen in den Reihen ihrer Begleitorchester auch Musiker, die spontan erfundene, swingende Soli zu bekannten Themen vortrugen – also das spielten, was heute unter altem oder traditionellem Jazz verstanden wird.

Einige Namen sollten doch genannt werden. Schon während des Kaiserreichs kamen vier große Gruppen nach Frankfurt: der Chor der  „Fisk Jubilee Singers“,  Jarrett und Palmer’s „Amerikanische Negergesellschaft“, William Foote’s „African American Character Concerts“ und Abbie Mitchell und ihre „Tennessee Students“; außerdem zwei Bands, deren Besetzung leider noch nicht ermittelt werden konnte. Viele Gesangs- und Tanzpaare gastierten, darunter zweimal das berühmteste von allen: Charles Johnson und Dora Dean. Einige Unterhaltungskünstler wie die Gesangsgruppen Black Troubadours und Black Diamonds traten so oft auf, dass das Publikum ein vertrautes Verhältnis zu ihnen aufbauen konnte.

Mindestens drei Gäste kamen vor und nach dem Ersten Weltkrieg, zum Beispiel die Sängerin Arabella Fields, der Sänger Will Garland und vor allem der Sänger und Pianist James Elmer Spyglass, der in Frankfurt und Schwalbach den Zweiten Weltkrieg überlebte. Über die Musiker, die nach dem Ersten Weltkrieg hier spielten, informiert man sich nach wie vor am besten in Jürgen Schwabs Buch. Stellvertretend für sie soll hier Sidney Bechet stehen. Mit seinen „Mississippi Jazzers 1927“ hatte er ein etwa zehnwöchiges Engagement in der Tanzklause am Eschenheimer Turm und lernte dort Elisabeth Ziegler kennen, die er 1951 heiratete und die mit ihrer Mutter in der Eisernen Hand 42 wohnte.

Die Schwierigkeiten der Darstellung sollen nicht übergangen werden. Schon die Quellenlage ist nicht sehr günstig. Die Tageszeitungen – sofern erhalten –, die Varietézeitschriften und die in den USA erscheinenden Wochenzeitungen der Afroamerikaner geben nicht kontinuierlich und erschöpfend Auskunft über die Auftritte. Dann war zu entscheiden, in welchem Umfang die Quellen und die verwendete Literatur aufgeführt werden sollten.

Schließlich gab es bei der Beantwortung der Frage, wie das charakteristisch Afroamerikanische beim Publikum ankam, das Problem der Rückprojektion. Wie war überzeugend auseinanderzuhalten, was wir heute von der Biographie und dem Repertoire der Künstler wissen, und was das damalige Publikum erlebte und erkannte?

Die Arbeit gibt den Forschungsstand von Anfang 2010 wieder. Inzwischen haben weitere Recherchen neue Ergebnisse gebracht. Erweitert man das Thema auf alle Afroamerikaner (Sportler, Bildungsreisende etc.) oder auf alle Menschen afrikanischer Herkunft, die bis 1945 Frankfurt besucht haben oder zeitweilig hier lebten, finden sich sicher noch viele neue Informationen über das Verhältnis der Frankfurter und ihrer schwarzen Gäste zueinander. Wer sich für diese Forschungen interessiert, kann den Autor der Studie gern kontaktieren.