Gesellschaft im Wandel

Die Rote Zelle Schwul

von Jannis Plastargias

Infostand, 1973. Foto: "Rosa Geschichten", Münster
Infostand, 1973. Foto: "Rosa Geschichten", Münster

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Auf dieses Thema stieß ich, als ich die Geschichte des Cafés Größenwahn und Hans Peter Hoogens, der mit seinem Kompagnon das Lokal 1978 eröffnete, recherchierte: Der Gastronom war in der Gruppe RotZSchwul (Rote Zelle Schwul) aktiv gewesen, doch sehr viel mehr konnte ich dazu im Internet nicht finden. Ich schrieb ihm eine E-Mail und wir verabredeten uns zu einem Plausch im „Größenwahn“ – das war der Anfang einer spannenden Reise in die Zeit vor meiner Geburt …

Im Sommer 1971 lief in ausgewählten deutschen Kinos Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Die Parole, die er am Ende propagierte, lautete: „Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen! FREIHEIT FÜR DIE SCHWULEN!“

Bei allen Kontroversen, die der Film auslöste, gab er der deutschen Schwulenbewegung den letzten Schub, nachdem man seit Lockerung des Paragrafen 175 im Jahr 1969 überlegte, wie man sich in der Öffentlichkeit bemerkbar machen und für seine Rechte eintreten könnte. Martin Dannecker, Sexualwissenschaftler und Autor, arbeitete am Drehbuch für diesen Film mit. Er war der Kopf der RotZSchwul.

Ihre Geschichte lässt sich in zwei Abschnitte teilen: die Zeit von der Gründung im Herbst 1971 bis Anfang 1973 (die Gruppe war geschlossen, zehn junge Männer arbeiteten hauptsächlich theoretisch,  um ein Grundsatzpapier zu erstellen, das als Fundament für eine politische Plattform für die weitere Emanzipationsarbeit dienen sollte) – und von Februar 1973 bis zur Errichtung des schwulen Kommunikationszentrums in der Wittelsbacher Allee im Sommer 1975, als sich die Gruppe für neue Mitglieder öffnete.

Münster 1972: „Brüder & Schwestern, warm oder nicht, Kapitalismus bekämpfen ist unsere Pflicht!“ Diese Aufschrift trägt das Plakat, das Martin Dannecker – dokumentiert auf dem berühmtesten Foto der Schwulenbewegung – hochhält. Am 29. April 1972 fand die erste Schwulendemo Deutschlands statt. 200 junge Männer und ein paar Lesben waren bei der Demo anwesend. Andere Quellen sprechen von 300 oder 400. Die Homosexuelle Studentengruppe Münster (HSM) hatte alle bereits existierenden Homosexuel- lengruppen nach Münster eingeladen. Ziel war die Gründung eines deutschen Dachverbandes der schwulen Aktionsgruppen (DAH). Es sollte der erste Auftritt der RotZSchwul in der Öffentlichkeit sein.

Hans ist schwul! – Für diese Aktion hatten sich RotZSchwul und die Schwule Zelle erstmals zusammengetan: „Kampf der Diskriminierung in der Familie, am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche“. Ein erklärtes Ziel der Aktion war es, kurz vor der nächsten Gesetzesänderung des Paragrafen 175 neben der Diskriminierung auch auf die Tatsache hinzuweisen, dass sich Homosexuelle erst mit 18 sexuell betätigen dürften, während Heterosexuelle dies auch schon mit 16 dürften.

In der Frankfurter Rundschau vom 30. April 1973 wird die Informationsveranstaltung an der Hauptwache so resümiert: 406 Unterschriften wurden von Passanten auf Listen gesetzt, die für eine völlige Streichung des Paragraphen sind. Viele waren jedoch schockiert, gingen verstört weiter, waren nicht an einer Diskussion interessiert. Einer der Organisatoren der Aktion: „Die Aktion hat bestätigt, wie groß die Scheu vor Sexualität im Allgemeinen und Homosexualität ist, sodass es für die Homosexuellen notwendig ist, weiter um ihre Interessen zu kämpfen.“

»Der Wert der Arbeit, den die RotZSchwul damals geleistet hat, ist trotz aller Verwerfungen groß zu nennen, sie hat viel für die Emanzipation der Homosexuellen getan.«

Häuserkampf und eigenes Schwulenzentrum: Damals gab es Häuserkämpfe in Frankfurt. Hier traf die allgemeine Zielsetzung der Linken auf einen Beweggrund der Gruppe: die Idee schwuler Wohngemeinschaften. Im Oktober 1973 gründete sich die erste mit fünf Mitgliedern, bis sie im Februar 1974 in einem harten Polizeieinsatz aufgelöst wurde. Die Gruppe hatte sich geöffnet und hatte ein neues Ziel: ein alternatives Kommunikationszentrum. Es wurde später bezogen, und zwar in der Wittelsbacher Allee. Dieses Datum wird im Nachhinein als das Ende der Gruppe benannt.

Für mich hat dieses Projekt eine neue Sichtweise auf das Thema „Vielfalt und Demokratieverständnis in Frankfurt“ eröffnet: Aktuelle Häuserbesetzungen, Kulturdebatten, aber auch „queer sein“ in Frankfurt erscheinen nun in einem neuen Licht für mich, der Blick hat sich geweitet, mein Verhalten und meine Arbeit haben sich sehr gewandelt.

Eine Internetpräsenz und ein Wikipedia-Eintrag sind entstanden, das Buch wird im Frühjahr 2015 erscheinen.