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Die städtische Wohlfahrtspolitik in Frankfurt am Main – die Wassertarife

von Anna Kubasiak

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„… Auf unserem Schlachtfeld zählen wir die Tausende vom Tode Geretteter durch die Verbesserung der gesundheitlichen Verhältnisse, die aus unseren Arbeiten hervorgeht. Diese Tausende am Leben Erhaltener bedeuten auch Tausende von Krankheit Bewahrter, besonders der ärmeren Bevölkerung, die Krankheiten am meisten ausgesetzt ist. …so bekommen wir einen Begriff von der Wichtigkeit unserer Arbeit, ...“

Der Ingenieur William Heerlein Lindley trug dieses Plädoyer für eine saubere und gesunde Stadt 1906 in Warschau vor. Sein Vater William Lindley war kein geringerer als der Konstrukteur der Frankfurter Schwemmkanalisation. 1873 schlug Vater Lindley der Stadt vor, sein Sohn könne sein Stellvertreter auf der Kanalisationsbaustelle werden. Die Stadt Frankfurt lehnte den blutjungen Mann ohne akademischen Titel zunächst als Stellvertreter des Vaters ab; aber später wurde er doch eingestellt. Dass die Entscheidung, einem „Jungspund“ solche Verantwortung zu übertragen, die richtige war, zeigen die zahlreichen Einrichtungen, die Frankfurt William Heerlein Lindley verdankt. Neben den technischen Errungenschaften wollte der Ingenieur vor allem die hygienischen Verhältnisse und damit die Gesundheit der weniger bemittelten Bevölkerung verbessern. In Frankfurt am Main stieß er dabei auf offene Ohren. Die Sorge um das Gemeinwohl nahm in Denken und Handeln der Frankfurter Stadtregierung eine wichtige Stellung ein. Obwohl die Stadt in einer liberalen Tradition regiert wurde, sahen die Stadtväter kein Problem darin, die Wasserver- und -entsorgung allein in städtischer Hand zu führen und zu halten. Das Eingreifen der öffentlichen Hand in den städtischen Wirtschaftsraum nannte man gegen Ende des 19. Jahrhunderts „Munizipalsozialismus“. Er stellt eine Art lokales Pendant zum Staatssozialismus dar. Insbesondere bei der Tarifgestaltung orientierten sich die Frankfurter Liberalen an sozialen Denkweisen. Die Stadtväter verzichteten jahrelang auf die Einführung von Wasseruhren, während in anderen deutschen Städten diese Abrechnungsform schon längst gang und gäbe war.

Bis 1924 gab es einen Pauschaltarif, der im Frankfurter Stadtgebiet zunächst bei vier Prozent des Mietwertes lag. Die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung ging noch einen Schritt weiter. Vor allem ihre demokratischen Vertreter forderten eine Befreiungsgrenze für arme und bedürftige Einwohner. Schon vor 1889 hatte die Stadtverordnetenversammlung beschlossen, den Wasserpreis für günstige Wohnungen zu senken. Auf Drängen des Magistrats hatte sie den Beschluss jedoch wieder fallenlassen. Erst als die Wasserversorgung offensichtlich Gewinne abwarf, kamen die Stadtvertreter überein, dass es „ein Gebot der Logik und der Gerechtigkeit“ sei, neben Steuersenkungen auch das Wassergeld für bedürftige Bewohner zu reduzieren.

Am 1. April 1889 trat schließlich das neue Ortsstatut in Kraft, nach dem alle Mieter, die einen jährlichen Mietwert bis zu 250 Mark hatten, von der Wassergeldzahlung befreit wurden.

Dies gewährleistete, dass Konsumenten unabhängig von ihrer sozialen Stellung nicht nur eine ausreichende Wassermenge für hygienische Zwecke überhaupt zur Verfügung hatten, sondern Wasser auch nach den persönlichen Bedürfnissen verbrauchen konnten.

Die Diskussionen über einen angemessenen Wasserpreis sind in Frankfurt bis heute nicht abgebrochen. 2007 strengte das hessische Wirtschaftsministerium ein Kartellverfahren gegen den Frankfurter Wasseranbieter Mainova wegen vermeintlich missbräuchlich hoher Wasserpreise an (der Rechtsstreit endete 2012 mit einem Vergleich, Anm. d. Red.). Anders sieht es bei der Frankfurter Stadtentwässerung aus: die Satzung des städtischen Eigenbetriebes verlangt noch heute moderate Preise für die Benutzung der Kanalisation.

Als 1894 die Stadtverordneten erstmals über eine Benutzungsgebühr für die Kanalisation sprachen, argumentierten einzelne städtische Vertreter, dass eine Gebühr nur einzuführen sei, wenn der Kanalbetrieb ein Haushaltsdefizit aufweise. Ein Fünftel des städtischen Haushaltes floss damals jährlich in den Kanalbau. Die Ausgaben der neuen Städtetechnik belasteten den Haushalt so stark, dass Frankfurt Kredite aufnehmen musste. 1904 ließ sich aufgrund dieser Kosten eine Gebühr nicht mehr vermeiden. Um auch diese Gebühren sozialverträglich zu gestalten, staffelte sich der Betrag ähnlich dem Wasserpreis und orientierte sich am Mietwert der Immobilie. Bewohner mit einem jährlichen Mietzins von weniger als 300 Mark blieben von der Gebühr gänzlich befreit. Die Einführung der Befreiungsgrenze zeigt, dass soziale Gesichtspunkte bei der Gebührenerhebung eine wichtige Rolle spielten – und Frankfurt einen durchaus sozialen Weg in die Moderne gewählt hat.

»Die Frankfurter Wassertarife stellen ein sozialgeschichtliches Novum dar, das im damaligen Deutschen Reich seinesgleichen sucht.«