Gesellschaft im Wandel / Kunst- und Kulturgeschichte

Eine Chronik der Frankfurter Goethe-Loge

von Lutz Wedekind (†)

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Durch die deutschen Zeitläufte verlor die Goethe-Loge Haus, Inventar und mit der Bibliothek auch ihre Geschichte. Um diese der Loge wiederzugeben, wollte Untermeister Jens Warmers mit mir eine neue schreiben. Unser eigenes Archiv ließ das aber nicht zu. Nur neun kurze Sätze waren die Ausgangslage – und einer machte mich besonders neugierig.

Zu jedem Jubiläum wurde nämlich daran erinnert, dass mit dem Logenvermögen nach 1933 jüdischen Brüdern der Weg aus Deutschland heraus ermöglicht wurde. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wurde tatsächlich ein bedeutendes Stiftungsvermögen von 4.000.000 Goldmark aufgebaut, das für soziale Zwecke zur Verfügung stand.

Langsam habe ich mich der Geschichte genähert. Anfangs mit Zufallsfunden, denen ich dann aber systematisch nachgegangen bin. In der Mannheimer Chronik fand ich Hinweise auf Frankfurter Brüder, ebenso im Vorwort des „Gesetzbuches“ von 1930. Davon ausgehend suchte ich andere Schriften in öffentlichen Bibliotheken oder im Preußischen Geheimen Staatsarchiv (Berlin), suchte in alten Adressbüchern und in der „Frankfurter Zeitung“ im Institut für Stadtgeschichte. Das Großlogenarchiv vor 1933 wurde uns erst 1992 bekannt, da es die schwedische Großloge besitzt. Nach langjährigen Verhandlungen befindet es sich jetzt wieder in Deutschland. Es wird seit Anfang 2010 aufgearbeitet und ist somit noch nicht zugänglich.

Die Ordenspresse bis 1933 wurde mir im März 2009 digitalisiert übergeben. Seitdem habe ich rund 15.000 Seiten durchgearbeitet. Dadurch ist es mir möglich geworden, eine durchgängige Geschichte der Loge zu schreiben. Durch die Zeitung der „Odd Fellow“ habe ich das soziale und kulturelle Engagement der drei Frankfurter Odd Fellow-Logen kennengelernt. Berichte über kleine und große Unterstützungen und Stipendien, Wohltätigkeitskonzerte und die Jugendfürsorge der Loge konnte ich auch in der „Frankfurter Zeitung“ finden. Demnach müssen die Odd Fellows im sozialen Leben der Stadt fest eingebunden gewesen sein.

»Eine Chronik schreiben wollte ich eigentlich nie, doch hat es mir viel gegeben – vor allem brachte es Freude.«

Besonderes Fingerspitzengefühl erforderte die Forschung über unsere Mitglieder jüdischen Glaubens mit Hilfe des Jüdischen Museums Frankfurt. Von 305 Frankfurter Odd Fellows in drei Logen waren etwa 100 bis 120 Juden. Bis auf 19 Brüder konnten sie allesamt Deutschland verlassen.

Da sie zuvor Logengelder erhielten, ist es wahrscheinlich, dass dies hilfreich bei der Ausreise war. Viele von ihnen sind in New York ansässig geworden. Ihres Judentums sich bewusst geworden, schlossen sie sich dort dem B´nai B´rith Orden an. Wenn frühere deutsche Odd Fellows Deutschland besuchen, war und ist ihr Anlaufpunkt durch den internationalen Rhein-Main-Flughafen in aller Regel die Goethe-Loge.

Auch nach der Fertigstellung und dem Auslaufen des Projektes im engeren Sinne schreibe ich die Chronik fort. In letzter Zeit habe ich erfreuliche Zufallsfunde erlebt. Auf einem Flohmarkt fand ich z. B. eine Schrift, in der sich durchaus Privates über den Obermeister von 1889 fand. Dies fließt in seine Biografie ein. So entstehen Zug um Zug Biografien der Mitglieder der Loge.

Über einige unerwartete Ergebnisse möchte ich noch berichten. Manche Persönlichkeiten der Loge bekamen Konturen im öffentlichen Leben unserer Stadt, auch wenn sie im Institut für Stadtgeschichte kaum dokumentiert sind. Dr. Nathan Ickelheimer beispielsweise war Mitbegründer der „Frankfurter Zeitung“, der Bürgermeister Dr. Eduard Gräf ist zu nennen oder Valentin Schnarr als Hafen- und Lagerhausdirektor. Vieles habe ich über die Loge erfahren – aber auch über mich selbst. Meine Geduld zum Beispiel beim langwierigen Forschen und Nachlesen. Aber auch meine Ungeduld, wenn die technische Seite nicht voranging. Als die Schrift fertig war, stellte sich allmählich das Abschiedsgefühl wie gegenüber einem guten Freund ein, dem man Lebewohl sagen muss. Meine Chronik ist als neu in der Aufmachung, im Inhalt und im Stil positiv vom Orden aufgenommen worden.

Die Vorgaben, die ich mir zu Beginn gestellt hatte, habe ich erreicht. Das soziale Engagement und die kulturellen Veranstaltungen der Goethe-Loge habe ich herausgearbeitet. Durch die bewusst gewählte öffentliche Präsentation im Rahmen eines Gesprächs in der Halle der Loge ist auch die Loge als solche entmystifiziert. Mit dem humanitären Wirken und den humanistischen Werten hat der Orden auch heute eine Daseinsberechtigung. Nicht nur die Goethe-Loge, auch der Odd Fellow Orden hat mit der Chronik einen Teil seiner Geschichte wieder!