Kunst- und Kulturgeschichte / Frankfurter Originale

Historie des Übergangs vom Wein zum Äpfelwein in Sachsenhausen

von Uwe Engert

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Ein „echter Frankfurter“ und 35 Jahre lang ein Sachsenhäuser – da weiß man doch eigentlich fast alles über „Hibbdebach“ und „Dribbdebach“, oder? Nicht ganz.

Als ich nämlich eines Tages einen Vortrag über die frühere Bedeutung des Weinhandels in unserer Stadt hörte und dabei auch Weinberge auf der Sachsenhäuser Seite erwähnt wurden, war meine Neugierde geweckt: Welche Rolle spielte Sachsenhausen beim Weinanbau, „unser“ Sachsenhausen, das alle als das „Äpfelweinparadies“ kennen? Dieser Frage wollte ich nachgehen, sobald ich mal Zeit dazu hätte.

Und die Zeit kam mit der Pensionierung. Im Rahmen des Programms „Stadtteil-Historiker“ der Stiftung Polytechnische Gesellschaft begab ich mich auf die Spur des Übergangs vom Wein zum Äpfelwein in Sachsenhausen. Viele, viele Tage waren das Institut für Stadtgeschichte und die Universitätsbibliothek meine Lebensmittelpunkte. Das sehr freundliche, hilfsbereite und fachkundige Personal vor allem der Lesesäle ist mein Zeuge. Die Zeit verging (zu) schnell. Ein Hindernis für den zügigen Fortgang der Arbeiten war die für mich schwierige Lesbarkeit der alten Schriften, vor allem der „Deutschen Kurrent“. Eine auf diesem Gebiet versierte Person als Ratgeber von Anfang an – das wäre prima gewesen.

Tatsächlich verdanken wir dem Erwerb des Stadtwalds einen mehr als 450 Jahre währenden Weinanbau auf dem Sachsenhäuser Berg. 1372 war der Stadtwald in den Besitz der Stadt gelangt, und in der Folgezeit wurde das bis fast an den Main reichende Teilstück, der Sachsenhäuser Berg, gerodet, in Parzellen aufgeteilt und mit Reben bepflanzt. Der Weinanbau begann 1376 auf dem sogenannten Alten Berg, gefolgt vom Mühlberg und dem übrigen Sachsenhäuser Berg. Ab etwa 1415 bedeckten die Weinberge schließlich den größten Teil der Sachsenhäuser Gemarkung.

In alten Aufzeichnungen wimmelt es nur so von „Wingerten“. Überall wuchs Wein, von der Sachsenhäuser Warte über das Hasenpfadviertel bis zum Schaumainkai. Das Sachsenhäuser Weinbaugebiet hatte eine Größe von mindestens 154 Hektar, was einer Fläche von mehr als 215 Fußballfeldern entspricht.

Ein großes Vergnügen war die jährliche Weinlese, der sogenannte Herbst. Die Weintrauben wurden unter allerlei Belustigungen gelesen und gekeltert, und man feierte ausgelassen, was folgende Darstellung von der Weinlese auf dem Sachsenhäuser Berg um 1830 zeigt: Der Sachsenhäuser Wein wurde privat konsumiert, aber auch in Weinwirtschaften und „Heckenwirtschaften“ ausgeschenkt. In den Handel gelangte er selten. Um die Sachsenhäuser Weinberge kümmerten sich die Weingärtner. Der Großteil von ihnen wohnte im heutigen Alt-Sachsenhausen, im Viertel zwischen Elisabethenstraße, Großer Rittergasse, Kleiner Rittergasse, Klappergasse, Paradiesgasse und Affentorplatz.

Vor allem durch Klimaveränderungen, wegen des Flächenbedarfs infolge von Gewerbeansiedlungen und durch Schädlingsbefall (Reblaus und Mehltau) gingen ab der frühen Mitte des 19. Jahrhunderts viele Weinanbauflächen schrittweise verloren. Weingärten wurden in „Baumstücke“ und Anbauflächen für Gemüse umgewandelt.

»Wein aus Sachsenhausen? – Meine Neugier war geweckt.«

Die in ihrer Existenzgrundlage zunehmend bedrohten Weingärtner hatten schon frühzeitig damit begonnen, zunächst aus dem Kelterobst ihrer Baumstücke und später aus von außerhalb bezogenen Äpfeln den preisgünstigen Äpfelwein herzustellen und nach eingeholter Konzession in ihren Häusern (Heckenwirtschaften) auszuschenken. Das geschah anfangs noch als Nebenerwerb zum Weinanbau. Als der Weinanbau aber um 1850 besonders stark zurückging, entstanden in kurzer Zeit viele neue Heckenwirtschaften, und der Äpfelwein nahm einen großen Aufschwung. Die Weingärtner können somit als Impulsgeber auf dem Weg zum „Äpfelweinparadies Sachsenhausen“ angesehen werden.

In der zwanglosen Atmosphäre der einfachen Heckenwirtschaften entwickelte sich rasch die typische Äpfelweinkultur Sachsenhausens. Reich und Arm, Einheimische und Fremde, Akademiker und Arbeiter – alle saßen dicht nebeneinander, jeder trank dasselbe, jeder hatte das gleiche „Gerippte“ vor sich stehen, oft mit einem Schoppedeckel geschützt, und auf den blanken Holztischen standen die Bembel. Man kam ins Gespräch, bestimmt über die Stadtpolitik, bestimmt aber auch über die Qualität des Äpfelweins. Man war lokalpatriotisch und zugleich weltoffen und tolerant.

Früher wurde noch überall selbst gekeltert, heute gibt es in Sachsenhausen nur noch einen einzigen selbst kelternden Äpfelweinwirt. Gleichwohl ist es unverändert ein großes Vergnügen, sich dem „Frankfurter Nationalgetränk“ zuzuwenden, im Äpfelweinparadies Sachsenhausen.