Biografien

"Im Schatten der Dame: Julia Virginia und Richard Laengsdorff (1877 bis 1942)"

von Axel Kiltz

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In einem Fotoalbum meiner Großtante Alice Regent fand ich nebeneinander zwei Fotos ihrer Freundin Julia Virginia Laengsdorff, geb. Scheuermann verw. Fuld. Die eindrucksvollen Abbildungen machten mich neugierig. Wer war diese Julia Virginia? Ich begann zu recherchieren.

Primäre Quellen waren Gästebücher und Fotoalben meiner Großtante aus der Zeit von 1931 bis 1944. Julia Virginia war bei vielen Einladungen im Hause Regent dabei und hat – teilweise zusammen mit ihrem Gatten Richard Laengsdorff - dort immer wieder Gästebucheintragungen hinterlassen. In den Fotoalben gibt es einige Abbildungen, auf denen die beiden zu sehen sind.

Juli Virginia war tätig als Malerin und Bildhauerin, später als Lyrikerin, nach dem Ersten Weltkrieg dann als Feuilletonistin. Sie hat eine ansehnliche Korrespondenz und etliche schriftstellerische Werke und feuilletonistische Beiträge hinterlassen. Teile des Briefwechsels werden im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, aber auch in vielen weiteren Institutionen aufbewahrt.

Die schriftstellerischen Werke sind teilweise in Bibliotheken, teilweise in Archiven in Frankfurt zu finden, einige sind antiquarisch erhältlich. Ein Gedichtband, „Sturm und Stern“, wurde 2017 neu verlegt.

Im Verlaufe der Recherche zu Julia Virginia kam allmählich Richard Laengsdorff in den Blick. Er war ein Sohn aus gutem jüdischem Hause, die Grabmale seiner Eltern sind auf dem Jüdischen Friedhof an der Rat-Beil-Straße zu finden. Richard hat vor dem Ersten Weltkrieg Reisen nach Armenien und in die USA unternommen.

Julia Virginia hingegen entstammte einer alten Frankfurter Patrizierfamilie, ihre Mutter war eine geborene Bromm. Sie genoss eine sehr liberale Erziehung.

Das Leben des Ehepaares Laengsdorff und sein Schicksal in der Nazizeit kann als typisch gelten für eine damalige "Mischehe" im Sinne der Nationalsozialisten. Beide hatten unter dem Naziregime zu leiden. Sie wurde mit einem Schreibverbot belegt, er musste aus Deutschland fliehen, es war aber zu spät, die Nazis holten ihn in Luxemburg ein.

Im Juni 2019 wurden für das Ehepaar Laengsdorff vor dem Haus in der Leerbachstraße 71 im Frankfurter Westend Stolpersteine verlegt. Im Vorfeld dieser Verlegung bekam ich den Hinweis, dass im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden ein Packen Steuerakten des Ehepaars lagert, der die Zeit von circa 1924 bis zum Tod der beiden 1941/42 abdeckt. Und ich erfuhr bei dieser Gelegenheit, dass auf dem Hauptfriedhof Frankfurt das Grab der Familie Scheuermann noch vorhanden ist, wenn auch in schlechtem Zustand. Dort sind auch Julia Virginia, ihr erster Ehemann Eugen Fuld und ihre Schwester Mathilde beerdigt.

Mit den Steuerakten bekam ich, neben vielen anderen Hinweisen auf das Zusammenleben des Ehepaars, Belege in die Hand, dass Richard Laengsdorff nach der Pogromnacht 1938 im KZ Buchenwald interniert war und danach systematisch von den Nazis zur Ausreise gedrängt wurde. Diese erfolgte dann auch im April 1940 nach Luxemburg, drei Wochen bevor die deutsche Wehrmacht dort einmarschierte.

Das Schicksal von Richard ist nicht endgültig geklärt, Julia Virginia behauptete in ihrer Einkommensteuererklärung für 1941, dass er im März 1941 in Paris gestorben sei.

Mit Hinweisen aus diversen Ahnenforschungssystemen, Dokumenten aus den Arolsen Papieren, den Archives Nationales de Luxembourg sowie der Opferdatenbank bei Yad Vashem konnte geklärt werden, dass Richard 1941 in Frankreich war. Anzeichen sprechen dafür, dass er im November 1941 dort noch gelebt hat (in einem Lager?). Julia Virginia ist im April 1942 in Frankfurt an den Folgen eines Rückenleidens verstorben.

Die Arbeit enthält auch Details zur Mitgliedschaft beider in der Schopenhauer Gesellschaft, in deren Jahrbüchern Julia Virginia und Richard einiges veröffentlicht haben.

Weiter gibt es einen Abschnitt zum künstlerischen Werdegang von Julia Virginia (ihre Werke sind fast alle verschollen) sowie einen Versuch, das politisch-gesellschaftliche Umfeld des Paares in der Nazizeit zu beleuchten. Ein besonderes Anliegen ist dabei, zu ermitteln, ob noch originale bildnerische Werke von Julia Virginia existieren.

Der Titel der Monografie „Im Schatten der Dame“ soll darauf hinweisen, dass das Verhältnis zwischen ihr und ihm nie auf Augenhöhe war. Als sichtbares Zeichen hierfür mag ein Zitat aus einem Eintrag im Gästebuch von Alice Regent gelten.

Julia Virginia schreibt dort am 12.3.1933:

"Zu einem schönen Frühlingstee schon wieder einmal im gastlichen Heim bei den lieben Freunden! Tausend Dank, Julia Laengsdorff (diesmal ohne Mohr)." Julia Virginia

Dieser Halbsatz "diesmal ohne Mohr" hat mich ins Grübeln gebracht, war einer der Auslöser für dieses Projekt. Er kann eigentlich nur auf den Ehemann zielen. Er wirft ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis zwischen den Ehepartnern, wenn er auch sicher scherzhaft gemeint war.

Die Monografie wurde am 4. Juli 2020 online gestellt im LISA-Portal der Gerda-Henkel-Stiftung, sie kann von dort als PDF heruntergeladen werden. Eine Printauflage wurde in sehr kleinem Umfang erstellt. Die Broschüre umfasst circa120 Seiten, Exemplare davon wurden an die Deutsche Nationalbibliothek, an die Senckenberg-Bibliothek der Universität Frankfurt, an das Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, an das Jüdische Museum Frankfurt, an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach sowie an die Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt gegeben.

Hier der Link zu der Veröffentlichung im LISA Portal.

Über den Autor

Geboren (1949) und aufgewachsen bin ich im Nahetal in der Nähe von Bad Kreuznach. Mein Vater Dr. Werner Kiltz war in unserem Heimatdorf Waldböckelheim praktischer Arzt. Meine Mutter Jubilate Elisabeth geb. von Bezold ist in Frankfurt geboren und aufgewachsen, sie ist die Nichte der in der Monografie häufig erwähnten Alice Regent. Studium in Mainz ergab ein Diplom in Mathematik, später ein Diplom in Betriebswirtschaft, ich wohne dort seit über 50 Jahren. Beruflich tätig war ich als Software-Entwickler und SAP-Berater. Seit meiner Verrentung 2016 versuche ich, die umfangreichen historischen Unterlagen zum Umfeld meiner Familie aufzuarbeiten. Es sind viele Dinge dabei, zu denen außer mir niemand mehr einen Zugang hat. Ich habe mich entschieden, diese historischen Dokumente nicht einfach zugrunde gehen zu lassen.