Häuser und Straßen

Schopenhauers Schöne Aussicht - Stadtteilheimat und Wirkungsstätte des Philosophen

von Abel Muñoz Röcken

Das Schopenhauerhaus im Altstadt-Modell des Historischen Museums Frankfurt. Rechte: Foto vom Autor, begrenzte Rechte ebenso beim Historischen Museum Frankfurt.
Das Schopenhauerhaus im Altstadt-Modell des Historischen Museums Frankfurt. Rechte: Foto vom Autor, begrenzte Rechte ebenso beim Historischen Museum Frankfurt.

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Der Philosoph Arthur Schopenhauer (* 1788 in Danzig; † 1860 in Frankfurt am Main) vertrat damals zur Zeit des Deutschen Idealismus nach Hegel, Fichte und Schelling eine deutlich unpopulärere Philosophie. Heutzutage zählt sie zu den wichtigsten Werken der Metaphysik nach Kant. Während seines Lebens hielt er sich an den unterschiedlichsten Orten Deutschlands auf, ließ sich 1833 jedoch in der damaligen Freien Reichsstadt Frankfurt am Main nieder. Die Stadt im Herzen Europas war jedoch nicht nur geografisch, sondern aufgrund vieler weiterer Aspekte für den Philosophen von unabdingbarer Wichtigkeit. Genau letztere soll Schopenhauers Schöne Aussicht im Rahmen seines wichtigsten Wohnsitzes — der Schönen Aussicht — umreißen, um die Bedeutung Frankfurts für Schopenhauer zu würdigen.

Anlass für die Recherche

Schopenhauer zählte bereits seit der Mittelstufe — durch den freiwilligen Kurs Philosophie unterstützt — zu einem meiner „Lieblingsphilosophen”. Allein die Art, mit der er mit den seinerzeit populären philosophischen Strömungen brach, macht ihn zu einer authentischen Rarität, sowohl philosophisch als auch gesellschaftlich. Da der Denker annähernd die zweite Hälfte seines Lebens in Frankfurt verbrachte, sah ich einen großen Mehrwert für das historische Bewusstsein der Stadt darin, diese Jahre in einem längeren Projekt zu erfassen und verschiedene wichtige Facetten von Schopenhauers Frankfurter Leben hier zu bündeln.

Thematik und Untersuchungsergebnisse

Mein Projekt habe ich in drei markante Sinnesabschnitte unterteilt: die lokale Heimat in Frankfurt mit Ausrichtung auf die Schöne Aussicht, die Stadt und ihre Bürger als Interaktionsmoment und schließlich das einflussreiche Opus, das der Philosoph nach seinem Tod der Stadt und damit der Welt vermachte.

Teil 1: Stadtteilheimat

Die Untersuchung beginnt mit Schopenhauers (Un-)Sesshaftigkeit. Nach Berlin und Mannheim zog er allein in Frankfurt ganze viermal um, bis er erstmals an die Schöne Aussicht kam (dort musste er in seinem vorletzten Lebensjahr abermals das Haus wechseln). Die damalige Freie Reichsstadt war eine bedachte Wahl; es zogen ihn viele Aspekte der Stadt an: Um nur ein paar zu nennen, waren Klima, das vielfältige Kulturangebot und die städtischen Ärzte ausschlaggebend. In diesem Kapitel wird überdies die Geschichte des heute als Schopenhauerhaus bekannten Gebäudes beleuchtet: Der pompöse klassizistische Bau wurde in Schopenhauers Jugendalter von einem bedeutenden Bankier in Auftrag gegeben und beherbergte bis zu seiner kriegsgeschuldeten Zerstörung 1944 noch einige bekannte Frankfurter Persönlichkeiten.

Der Philosoph war insgesamt eher ein Einzelgänger. Da er jedoch nicht alleine in der Stadt wohnte, wusste er sehr wohl oder übel um seine nähere Umgebung (was auf Gegenseitig beruht). Ebendeswegen wird auch ein Auge auf seine direkten und indirekten Nachbarn an der Schönen Aussicht geworfen. Unter ihnen gab es mehrere bedeutende Menschen, die politisch sowie gesamtheitlich von historischer Bedeutung waren: Zu diesen Frankfurtern zählten etwa Friedrich Siegmund Jucho, Georg Christoph Binding und Eduard Ludwig Harnier, deren Ehrengräber heute allesamt auf dem Frankfurter Hauptfriedhof zu finden sind.

Schließlich gehören zum ersten Teil noch die persönlichen Bekannten Schopenhauers, mit denen er täglich die Mainpromenaden frequentierte und unzählige Gespräche führte. Diese Freunde, Schüler und „Apostel“ des Denkers, sollten teils auch nach seinem Ableben wichtige Träger der Schopenhauerschen Botschaft werden (sei es zum Beispiel als Testamentsvollstrecker oder Hauptherausgeber der unveröffentlichten Werke).

»Man könne sich heutzutage fast kein anderes Schopenhauerhaus vorstellen, was der Frankfurter Arbeit des Philosophen genauso gerecht würde wie die Schöne Aussicht, die ihm […] die Balance zwischen Philosophie und Stadt gab, die er bis an sein Lebensende genießen konnte.«

Teil 2: Wirkungsstätte

Hier betrachte ich Schopenhauers Schöne Aussicht eben als Werkstätte. Wie sah es darin aus? Welchen Alltag pflegte der Philosoph dort? Letzterer war ein sehr routinierter Mensch; ganz nach dem buddhistischen Ideal stand er früh auf, erledigte sein tägliches Arbeitspensum und genoss Musik und Kultur. Hierzu boten sich mehrere Frankfurter Institutionen an, die er alle hoch schätzte: Das Komödienhaus, die Oper, Museen und die damalige Stadtbibliothek — das heutige Literaturhaus Frankfurt — versorgten ihn mit verschiedenen Künsten, während Einrichtungen wie der Physikalische Verein und die Senckenbergische Stiftung ihn gleichzeitig auf dem neusten Stand der naturwissenschaftlichen Forschung halten konnten. Über diese und andere Themen wusste er beim mittäglichen Speisen im renommierten Hotel Englischer Hof stets mit seinen Tischnachbarn zu diskutieren und angeregte Unterhaltungen zu führen.

Insgesamt war Schopenhauer wirklich allseits interessiert; sein Ruf als zurückgezogener Eremit stellt sich in vielerlei Hinsicht als unbegründet heraus.

Gerade weil die Interaktion des „Wahlfrankfurters“ mit der Stadt so reichlich war, gehe ich im letzten Kapitel des zweiten Abschnitts auf einen möglichen philosophischen Einfluss der Stadt selbst auf den Philosophen ein. Die vielen Leute, die auch von außerhalb nach Frankfurt kamen, um mit deren Bürgern in Kontakt zu treten, fanden auch Schopenhauers Aufmerksamkeit. Auf naturwissenschaftlicher Ebene gab es viele Bereiche, die der Philosoph studierte und weshalb er auch mit jeweiligen Forschern und Experten sprach. Da er jedoch seit jeher der Disziplin der Philosophie schon so viel Zeit gewidmet hatte, besaß er bereits in jungem Alter ein gefestigtes Bild seines Systems, was auch in den Werken während der Frankfurter Zeit seinen Ausdruck findet, die stark auf das 1819 erschienene Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung verweisen.

Teil 3: Post mortem

Zu guter Letzt zeige ich sowohl in allgemeiner als auch in detaillierter Form den unermesslichen Einfluss Schopenhauers auf die Stadt.

Nach der Veröffentlichung seines Bestsellers Parerga und Paralipomena im Jahr 1851 war sein Bekanntheitsgrad ohnehin rasch gestiegen. Nach seinem Tod entwickelte sich jedoch erst noch der Schopenhauer-Fanatismus, den einige Bürger pflegten (die sich aus Verehrung beispielsweise etwa auch einen Pudel kauften usw.). Es wurden Monumente errichtet, Straßen nach ihm benannt. Mit der Gründung des Schopenhauer- Archivs 1911 nahm auch eine institutionelle Würdigung und Aufarbeitung seines Vermächtnisses ihren Anfang, die heute als Schopenhauer-Gesellschaft mit Sitz in Frankfurt existiert.

Ein anderes Feld, in dem die Philosophie große Wirkung zeigte, war die Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Um diesen Einfluss zu verdeutlichen, handelt das vorletzte Kapitel vom Schaffen einer der prominentesten Expressionisten und Künstler der Neuen Sachlichkeit, dem Frankfurter Max Beckmann. An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass die Kunst selbst bei Schopenhauer einen ganz besonderen philosophischen Stellenwert hatte. Es ist wirklich beeindruckend — und mit Schopenhauer besonders einzigartig —, wie ein Philosoph eine derartige Bedeutung für so viele verschiedene Lebensbereiche darstellen kann.

Ich schließe meine Recherche mit einem Umriss seines philosophischen Nachlasses in Frankfurt, der schließlich bei keiner Betrachtung außer Acht gelassen werden darf. Das Kapitel zeigt, mit welchen Gedanken, Werten und Werken Arthur Schopenhauer ausgehend von der Schönen Aussicht am Main die Welt veränderte — im Endeffekt ist es eben unsere Interpretation, nach Schopenhauer unsere Vorstellung, die diese Welt für uns in individueller Weise zugänglich macht.

Verwendete Quellen

Zu meinem Glück haben sich einige Menschen gut um den Nachlass des Philosophen bemüht. Insofern konnte ich auf die Schopenhauer-Gesellschaft und andere historische Institutionen zurückgreifen. Ein Beispiel ist ebenso die Schopenhauer-Forschungsstelle der Universität Mainz, die eng mit oben genannter Gesellschaft zusammenarbeitet. Für die Recherche um die Schöne Aussicht und ihre Umgebung wurden verschiedene Archivalien der Stadt Frankfurt konsultiert (wie etwa das damalige Personenverzeichnis der Stadt) sowie für eine möglichst akkurate Beschreibung der Wohnsituation auf die wichtigste Zeitzeugin, eine unmittelbare Nachbarin des Philosophen, zurückgegriffen. Weitere wichtige Einrichtungen, die eine kompetente Hilfe sein konnten, sind beispielsweise das Institut für Stadtgeschichte sowie das Historische Museum Frankfurt.

Präsentation der Ergebnisse in der Öffentlichkeit

Das Buch (ISBN 979-8-832-37501-4) umfasst 110 Seiten und ist im Eigenverlag über Kindle Direct Publishing erschienen. Da der Druck auf Nachfrage erfolgt, gibt es keine grundsätzliche Begrenzung der Exemplare. Zur weiteren Verwendung wurden jeweils Ausgaben einigen Frankfurter Institutionen zur Verfügung gestellt, so beispielsweise der Schopenhauer-Gesellschaft, dem Institut für Stadtgeschichte sowie dem Historischen Museum Frankfurt.

Über den Autor

Abel Muñoz Röcken

Abel Muñoz Röcken, geboren 2002 in Aschaffenburg, besuchte das humanistische Heinrich-von-Gagern-Gymnasium in Frankfurt am Main und schloss 2020 sein Abitur ab. Aus seiner klassischen Bildung in Latein, Altgriechisch und Philosophie erwuchs ein starkes Interesse an Philosophie. Seit Herbst 2020 studiert er erfolgreich das interdisziplinäre und internationale Bachelor-Fach Philosophy & Economics an der Universität Bayreuth. Ab Herbst 2022 wird er im Rahmen des Erasmus-Programms ein Auslandssemester im belgischen Lüttich verbringen. Nach seiner Bachelor-Ausbildung möchte er einen passenden Master-Studiengang und eventuell eine Promotion anschließen.