Bildungswesen

Schule des Bürgersinns – 150 Jahre Wöhlerschule

von Norbert Rehner und Martin Hilgenfeld

Die Woehlerschule in der Junghofstraße im Jahr 1871. Foto: Archiv der Wöhlerschule
Die Woehlerschule in der Junghofstraße im Jahr 1871. Foto: Archiv der Wöhlerschule

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Angeregt durch die engen Verbindungen der Wöhlerschule zur Polytechnischen Gesellschaft habe ich zusammen mit meinem Vorgänger als Schulleiter, Martin Hilgenfeld, zum 150-jährigen Jubiläum der Schule eine Ausstellung mit 20 Plakaten und einen Begleitband erstellt. Die Ausstellung, geplant zur Jubiläumsfeier, fiel wie viele andere Veranstaltungen Corona zum Opfer.

Hauptsächliche Quelle für unsere Recherchen war das Archiv der Wöhlerschule mit Ablagen, Zetteln, Akten, Heften, Büchern, Fotosammlungen, den bis 1930 erschienenen jährlichen Schulberichten der Schulleitungen und anderen Materialien. Durch die völlige Zerstörung der Schule im März 1944 und durch mehrere Umzüge nach dem Krieg gibt es Lücken in den Unterlagen, wobei erstaunlich ist, dass die Dokumente aus der nationalsozialistischen Zeit offensichtlich vollständig erhalten sind. Für Informationen über frühere jüdische Schüler und Lehrer konnten die jahrelangen Recherchen der „Spurensuche-AG“ der Schule und Unterlagen des Jüdischen Museums genutzt werden. Auch das Institut für Stadtgeschichte bot wertvolle Informationen.

Im Zentrum unserer Recherchen stand die Zeit von der Gründung 1870 bis zum Neubau der Schule 1957. Dabei haben wir versucht, eine Verbindung herzustellen zwischen dem Schulleben und den pädagogischen Inhalten mit den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen.

Von zentraler Bedeutung für die Geschichte der Wöhlerschule ist der Frankfurter Bürgersinn, ausgehend von der Polytechnischen Gesellschaft, die die Schule im Jahr 1870 gründete. So bewirkten im Jahr 1876 massive öffentliche Proteste, dass die Schule gegen den Willen des Frankfurter Magistrats anerkannt wurde als „Realschule 1. Ordnung“ (vergleichbar dem späteren Gymnasium). Im Jahr 1952 wollte die Stadt Frankfurt die Wöhlerschule, die nach der Zerstörung am 22. März 1944 mehrmals umziehen musste, auflösen. Heftige Proteste Frankfurter Bürger, der gesamten Frankfurter Presse sowie der Schulleitung und der Eltern verhinderten dies. Ein Neubau wurde aber erst realisiert, als der Förderverein der Schule und die Schulleitung erhebliche Spenden und zweckgebundene Kredite für diesen Bau sammeln konnten. Die Inneneinrichtung wurde weitgehend durch Spenden der Bürger von Frankfurt finanziert.

Nicht verschwiegen werden sollte, dass die Wöhlerschule auch immer ein Spiegel der Gesellschaft war. Im Jahr 1914 war die Kriegsbegeisterung auch an der Schule groß. Der Schulleiter, viele Lehrer und Abiturienten meldeten sich freiwillig zum Militärdienst. Über 300 Lehrer, Schüler – auch ehemalige – fielen im Krieg. Berichtet wurde darüber in der „Wöhler-Feldzeitung“ bis zum Jahr 1918. Eine Goldsammlung in der Schule nach dem Motto „Gold gab ich für Eisen“ erbrachte die stolze Summe von 100.000 Mark (nach heutiger Kaufkraft über 300.000 €).


»Nicht verschwiegen werden sollte, dass die Wöhlerschule auch immer ein Spiegel der Gesellschaft war.«

Im Nationalsozialismus bildete auch die Wöhlerschule keine Ausnahme, vor allem, nachdem der Schulleiter Dr. Schramm, der versucht hatte, seine Hand schützend über die jüdischen Lehrer und Schüler zu halten, degradiert und strafversetzt wurde. Der Anteil der jüdischen Schüler, der in den 1920er-Jahren noch bei über 20 Prozent gelegen hatte, sank auf den vorgeschriebenen Stand von 1,7 %. Der letzte jüdische Lehrer wurde 1935 entlassen.

Im Jahr 1937 musste an der Stirnseite des Festsaals das Bild des Kaisers Wilhelm einem großen Bild des Führers weichen, das ihn darstellt „in schlichter Menschlichkeit und doch geschichtlicher Größe“, wie die Wöhlerschul-Mitteilungen des Fördervereins vermelden. Ab 1943 dienen Oberstufenschüler als Flakhelfer. Am 22. März 1944 wird die Schule bei dem großen Bombenangriff in Frankfurt zerstört.

Sichtbar werden die zeitlichen Strömungen auch in den Themen der Deutschaufsätze, vor allem bei den Abiturthemen. Ein Abiturthema im Jahr 1939: „Auslese – in der Natur ein Vorgang, im Volksstaat eine sittliche Pflicht.“

Über die Autoren

Über die Autoren

Norbert Rehner war Schulleiter der Wöhlerschule von 2003 bis 2011. Martin Hilgenfeld leitete die Wöhlerschule von 1993 bis 2003.