Frankfurter Stadtteile im Wandel

"So lebte man damals im Nordend"

von Jörg Harraschain

Eine alte Postkarte zeigt das damalige Nordend. Bild: Sammlung Jörg Harraschain.
Eine alte Postkarte zeigt das damalige Nordend. Bild: Sammlung Jörg Harraschain.

Teilen

Das Nordend ist in Frankfurt ein Stadtteil, der vornehmlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch Stadterweiterung und nicht durch Eingemeindung entstanden ist. Die Gemarkungsgrenze zu Bornheim war einst die Friedberger Landstraße.

Erst mit der hessischen Gebietsreform 1972 wurde das Nordend wesentlich erweitert, und so wurden die Gebiete zwischen Friedberger Landstraße und Sandweg und das Gebiet nördlich des Alleenrings von Bornheim zum Nordend geschlagen. Der Günthersburgpark – ein prominentes Beispiel – ist in seiner Gänze ein gutes Stück Nordend. Durch die stadtteilspezifische Veränderung ist es erklärlich, dass viele Einwohner und Einwohnerinnen noch immer denken, sie wohnten in Bornheim, obwohl sie seit 1972 Nordend(l)er(innen) sind.

»Stadtteil-Historiker“ ist so eine für mich nicht endende Beschäftigung geworden: Ich sammele noch immer alte Fotografien und gelebte Geschichten aus dem Stadtteil. Wenn alles gut geht, wird daraus ein Buch entstehen, das den Titel tragen wird: „Geschichte und Geschichten des Nordends.»

Obwohl ich nicht Geschichte studiert habe, habe ich mich schon als Jugendlicher für gesellschaftliche und historische Zusammenhänge interessiert. In der Dokumentation der Geschichte der Stadt Frankfurt spielt(e) das Nordend kaum eine Rolle. Entweder stehen die Frankfurter Innenstadt oder die eingemeindeten Ortsteile Frankfurts im Fokus des historischen Interesses. Auch eine stolze Identitätsbildung wie „Wir Sachsenhäuser“ oder „Wir aus Bergen-Enkheim“ fand im Nordend nicht statt, denn das Nordend galt bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts als eine „Graue Maus“, wie eine Frankfurter Zeitung schrieb.

Das wohlhabende Bürgertum mied das Nordend, und erst mit Beginn der siebziger und insbesondere der achtziger Jahre entwickelte sich das Nordend zu einem begehrten Stadtteil. Der einst vornehmlich von Arbeitern und Studenten bewohnte Stadtteil zog nun Künstler, Kreative und wohlhabende Leute an. Viele Mieter, die lange Zeit im Nordend wohnten, verbesserten ihre Wohnungen selbst, indem sie das „Frankfurter Bad“ umwandelten oder die Ölheizung durch eine Gastherme ersetzten. Die einst kleinen Gewerbetreibenden – oftmals zur Straße hin oder in den Hinterhöfen angesiedelt – verschwanden ebenso wie die Grünflächen in den Hinterhöfen zugunsten einer Wohnnutzung. So nimmt es nicht Wunder, dass das Nordend (in Teilen) als der am dichtesten bebaute Stadtteil Europas gilt. Zwei Erhaltungssatzungen sollen mittlerweile den Charme der „Gründerzeitbauten“ bewahren.

Die vielen Fleischereien, Milchläden, Bäckereien, Brauereien, „Tante-Emma-Läden“ wurden durch Discounter-Ketten verdrängt. Es ist jedoch festzustellen, dass gewerbliche Kleinbetriebe, die um 1900 das Nordend prägten, nach 100 Jahren wieder Eingang in den Stadtteil finden. Heutzutage erobern zunehmend kreative Einzelgeschäfte das Nordend, wie Modeschneidereien, Kunstgewerbeläden, Frisöre und andere Dienstleister.

Mich interessierte vor allem das Alltagsleben der Menschen, und ich versuchte daher mit Zettelwerbung und über Frankfurter Zeitungen von Privatleuten Fotografien zu erhalten. Thematisch wurden dann diese Fotos zusammengestellt und in einer Freilichtausstellung im Oeder Weg gezeigt. So gab es Tafeln, die Freizeitbeschäftigung der Menschen, Kinderspiele oder Modebesonderheiten zeigten. Häuserfronten und Straßenzüge aus dem Nordend waren im Vergleich zu heute zu sehen. Ebenso wurden Veränderungen einzelner Geschäfte dokumentiert. Auch die Zeit des Nationalsozialismus und die Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg wurden nicht ausgelassen.