Gesellschaft im Wandel

Treffpunkt Palais: Gesandtschaften und Stadtgesellschaft zur Zeit des Deutschen Bundes

von Dr. Ellinor Schweighöfer (geb. Fried-Brosz)

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Die Frankfurter Paulskirche ist eine der Pflichtstationen bei Führungen oder Exkursionen zur Stadtgeschichte. Manchmal verleitet jedoch auch der ehemalige Standort des Thurn und Taxischen Palais in der Großen Eschenheimer Straße, das nun an dieser Stelle wieder nachgebaut worden ist, zu einem Zwischenstopp.

So war es auch an jenem Tag, an dem Ellinor Fried-Brosz begann, sich für die ‚diplomatische Vergangenheit’ ihrer Heimatstadt Frankfurt zu interessieren. „Mir war bis dahin gar nicht bewusst gewesen, dass im 19. Jahrhundert zahlreiche Diplomaten verschiedenster Staaten hierhin entsandt worden sind. Das gesellschaftliche Leben, das mit diesen Diplomaten in die Stadt eingezogen sein musste, die rauschenden Bälle und Empfänge, haben mich sofort fasziniert. Ich wollte mehr erfahren.“ Das Palais Thurn und Taxis war ein halbes Jahrhundert lang, in den Jahren 1816 bis 1866 – nur unterbrochen durch die 1848er Revolution, Sitz der Bundesversammlung, auch Bundestag genannt, mithin des zentralen Organes des „Deutschen Bundes“. Zu diesem Staatenbund hatten sich 1815 Preußen, Österreich, Bayern sowie über 30 weitere mittlere und Kleinstaaten des deutschen Sprachraumes zusammengeschlossen. Die Bundesversammlung diente als ständige Vertretung der einzelnen Mitgliedsstaaten. Aber auch andere Staaten entsandten Diplomaten an den deutschen Bundestag. Ständig vertreten waren dort Frankreich, Großbritannien und Russland. Auch Diplomaten aus Belgien, Mexiko, Portugal, Sardinien, Schweden und Spanien waren zwischenzeitlich in Frankfurt.

Frankfurt war ein Ausnahmefall unter den diplomatischen Standorten. Denn diese hatten als ihren Mittelpunkt meist eine Aristokratie und einen Hof. In der Bürgerstadt Frankfurt jedoch trafen die zu allermeist adligen Diplomaten auf das selbstbewusste Wirtschaftsbürgertum, das sich seiner neuen Rolle als ‚Gastgeber’ der Diplomaten schnell und gerne annahm. Es entstand gewissermaßen ein bürgerliches Pendant zur Hofgesellschaft. Frankfurter und Diplomaten begegneten sich auf Empfängen, Banketten, Bällen und Diners. Diese weitläufi gen gesellschaftlichen Verpflichtungen empfand der aus heutiger Perspektive wohl bekannteste Diplomat, Otto von Bismarck, der als Gesandter Preußens nach Frankfurt kam, als große Belastung. Der spätere Reichskanzler hinterließ eine Fülle von Dokumenten, in denen er seine Frankfurter Jahre 1851 bis 1859 beschreibt. An seiner Person lässt sich das diplomatisch-gesellschaftliche Leben der Zeit besonders gut nachzeichnen. Als Bismarck 36-jährig nach Frankfurt kam, war er noch relativ unbekannt und zudem ein politischer Außenseiter. Es stieß in Preußen auf Kritik, dass er trotz völliger diplomatischer Unerfahrenheit und – in den Augen vieler – mangelhafter Ausbildung für dieses Amt nominiert worden war. Dass er den Posten dennoch erhielt, verdankte er nicht zuletzt der Knappheit geeigneter Kandidaten – und so wurde ausgerechnet die Bürgerstadt Frankfurt zum Sprungbrett seiner Karriere.

Auch in seiner neuen, zeitweiligen Heimat galt Bismarck als streitbarer Charakter, der besonders mit seinen österreichischen Kollegen immer wieder zusammenstieß. Bismarck lästerte schrecklich über die Gesandten der anderen Staaten und berichtete gerne über Skandale in der Stadtgesellschaft, über Trunkenbolde und Ehebruch, über Affären zwischen wichtigen Diplomaten und Frankfurterinnen aus den führenden Familien. An den Frankfurter Damen ließ er kein gutes Haar, weil er sie als viel zu freizügig empfand. Seiner Frau gegenüber erwies er sich in seinen Briefen als liebender und treusorgender Ehemann und versuchte sie so weit es ging vor den ‚Strapazen’ der diplomatischen Verpflichtungen zu schonen.

»Schon Otto von Bismarck klagte über die hohen Immobilienpreise – und wohnte in Frankfurt zähneknirschend zur Miete.«

Besonders regte sich Bismarck aber über die Situation auf dem Frankfurter Wohnungsmarkt auf. Er musste mehrfach umziehen und empfand die Preise in der Stadt als viel zu hoch. Bismarcks Bitten an seine Vorgesetzten, für die preußische Gesandtschaft eine Immobilie in Frankfurt zu erwerben, stießen auf taube Ohren – und so musste er die gesamte Zeit zur Miete wohnen. Im Thurn und Taxischen Palais, dem Sitzungsort des Bundestages, durfte nur der österreichische Gesandte residieren, der der Versammlung gleichzeitig als Präsident vorsaß. Ein Grund mehr für den ehrgeizigen Bismarck, auf diesen eifersüchtig zu sein.

Das Jahr 1866 bedeutete das Ende des Deutschen Bundes. Der Deutsche Krieg brach herein, und der Bundestag wurde sicherheitshalber nach Augsburg verlegt, bevor er schließlich ganz aufgelöst wurde. Als Preußen das bis dahin freie Frankfurt annektierte, war Bismarck nicht mehr in der Stadt, die immerhin für fast ein halbes Jahrhundert deutsche Hauptstadt gewesen war.