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Wandel im Handel – Die kleine Welt der Leipziger Straße

von Bruno Schneider

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Während meines Studiums von 1967 bis 1973 habe ich die Leipziger Straße sehr gut kennengelernt. Fast alles, was ich zum Leben brauchte, gab es dort.

Während meines Referendariats wohnte ich vorübergehend in der Falkstraße – also um die Ecke! Viele Jahre später arbeitete ich in einer Frankurter Filmproduktionsfirma in der Kurfürstenstraße, einer Querstraße zur Leipziger.

Vor noch viel mehr Jahren, nämlich in meiner Kindheit, lief ich in Gelnhausen auf der Alten Leipziger Straße zur Schule und kam dort immer an der engsten Stelle dieses Handelswegs zwischen den Messestädten Frankfurt und Leipzig vorbei. Kein Fuhrwagen, der von einer Stadt in die andere wollte, durfte breiter sein als diese Stelle. Das hat mich schon als Kind beeindruckt – vor allem, wenn ich mir vorstellte, wie viele Wagen mit wie vielen Menschen aus wie vielen Nationen dort schon im späten Mittelalter durchfuhren.

Seit drei Jahren bin ich befreundet mit einer Iranerin, die ganz selbstverständlich und sehr gerne auf der Leipziger Straße einkaufen geht und sich dort seit zwanzig Jahren zuhause fühlt. Ich habe sie oft dabei begleitet, und als wir dann zufällig von dem Projekt "Stadtteil-Historiker" erfuhren, war schnell klar: über diesen Teil der Stadt, in dem so viele verschiedene Nationen einkaufen und verkaufen, in dem so viele Sprachen gesprochen werden, machen wir einen Film, der den „Wandel im Handel“ dieser Straße dokumentiert, über die Menschen, die beim Handel sowohl hinter wie auch vor der Verkaufstheke stehen.

»Über diesen Teil der Stadt, in dem so viele verschiedene Nationen einkaufen und verkaufen, in dem so viele Sprachen gesprochen werden, wollte ich einen Film machen.«

Gedreht haben wir in vielen Etappen über vierzehn Monate hinweg. Alle Jahreszeiten sind im Film vertreten, und damit bot sich auch die Musik an: „Die vier Jahreszeiten“ von Vivaldi. Natürlich hat man immer viel, viel mehr Material, als im fertigen Film zu sehen ist. Und der ist mit 25 Minuten immerhin doppelt so lang geworden wie ursprünglich geplant. Neben der Straße, die sich in ihren vier klimatischen Kostümen präsentiert, stellen sich sieben Geschäftsleute mit einer großen Zahl von Kunden vor, die uns ihre Erfahrungen mit der Leipziger Straße und ihre Meinung über sie berichten.

Da ist der Obst- und Gemüsehändler aus der Türkei, der sommers wie winters auf dem Angelpunkt der Leipziger ‚open air’ seine Ware anbietet, dann der Palästinenser mit einem Riesensortiment an arabischen Spezialitäten und dem vorschriftsmäßig geschlachteten Fleisch für die moslemische Kundschaft, das Deko-Geschäft seit 1982, das den Wandlungsprozess der Leipziger bei aller Kritik bis jetzt gut überstanden hat, der Pakistaner mit seinem Sortiment an orientalischen Kulinaria, der türkische Figaro in einem griechisch klingenden Friseurladen, der in zehn Jahren mächtig Konkurrenz bekommen hat, die Kubanerin, die eines der ersten Straßencafés hier eröffnete, und schließlich das Urgestein der Leipziger: das Besitzer-Ehepaar einer uralt-eingesessenen und hoch beliebten Kaffeerösterei, die ihren Kaffee noch immer so rösten wie unmittelbar nach dem Krieg: langsam, schonend und damit so geschmacksintensiv, dass es Kunden von weither anzieht.

Film ist ein audiovisuelles Medium, auch ein dokumentarischer Film soll für sich selbst sprechen: Hier tun es die Protagonisten. Der Kommentartext ist darum wohldosiert eingesetzt, die Atmosphäre der Straße soll spürbar sein.

War die Leipziger Straße bereits vor mindestens sieben- bis achthundert Jahren als Weg zwischen den Messestädten Frankfurt und Leipzig ein Gewimmel von Händlern und Käufern vieler Nationalitäten und Sprachen, so ist sie das heute immer noch – oder wieder? Und in ihrer langen Geschichte ist der Film eine Momentaufnahme, ein im Medium des Films gebannter Augenblick, der in weiteren vielen Jahren zeigt: so war es damals.