Das Allerheiligenquartier

von Petra Pfeuffer

„Die Allerheiligenstraße in der Innenstadt von Frankfurt? Ja sicher ist die mir bekannt, nur weiß ich auf die Schnelle nicht, wo ganz genau ...?“

Die so oder ähnlich lautenden Reaktionen, auch von alteingesessenen Frankfurtern, auf eine Standortfrage zeigen, dass sich diese vielbefahrene Verkehrsachse zwischen der Battonnstraße und der um 1881 nach Osten hin erweiterten Zeil mit ihren heute zahlreichen Lokalitäten, Billigartikelmärkten und dem Sitz des 1. Polizeireviers nicht mehr unbedingt tief ins Gedächtnis gräbt. Man rufe dem Befragten dann jenes imposante Geschäfts- und Wohngebäude vor Augen, das mit seiner auf fallenden Fassadenornamentik, den neobarocken Steinreliefs und seinen Kuppelerkern an den Giebeln trapezförmig die Spitze von Allerheiligen- und Battonnstraße bildet.

Errichtet 1907 nach den Plänen der Architekten Franz Josef Vietze und Wilhelm Helfrich, sollte das schmucke Haus vielleicht die rege Bautätigkeit im Viertel krönen. Neben dringend benötigten Wohngebäuden entstanden in dieser Zeit auch Frankfurts erstes kommunales Hallenbad, eröffnet 1896 auf dem Gelände der heutigen AOK, das erste Gewerkschaftshaus an der Ecke Allerheiligen- und Stoltzestraße von 1901 oder das ein Jahr später neu bezogene Eichamt in der Battonnstraße. Es hat sich einiges von dieser Pracht trotz heftiger Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg noch erhalten, doch mussten in den Wiederaufbaujahren zahlreiche Notbauten hochgezogen werden, die nach wie vor teilweise das Erscheinungsbild der Straße prägen. Einzig die auffällig schmale klassizistische Silhouette des ältesten erhaltenen Mietshauses von 1861 tritt stumm, gleich einem Sarkophag, mit einer wie in Gips gegossenen Fassade hervor aus der bescheidenen Häuserzeile – sie ist seit Jahren zugemauert.

»Von jeher schon ein Kleine-Leute-Viertel mit Handwerkern, Bediensteten, Künstlern, Tagelöhnern und all dem zugetan was sich der Mensch an unterschiedlichen Vergnügungen versprach, zählten für die Bewohner Weltoffenheit und Toleranz zum Selbstverständnis.«

Ende des 14. Jahrhunderts erbaut als erste luxuriös mit Pflasterstein versehene Gasse, die bis zum Durchbruch der Kurt-Schumacher-Straße 1955 bis an die Konstablerwache reichte, ist der verbliebene Teil der Allerheiligenstraße bis heute Lebensader dieses bunten, doch wenig gut gelittenen Viertels mit Stoltzestraße, Breite Gasse, Albusstraße und der nach Süden hin verlängerten Klingerstraße. Von jeher schon ein Kleine-Leute-Viertel mit Handwerkern, Bediensteten, Künstlern, Tagelöhnern und all dem zugetan, was sich der Mensch an unterschiedlichen Vergnügungen versprach, zählten für die Bewohner Weltoffenheit und Toleranz zum Selbstverständnis. Über Jahrhunderte unmittelbar an die ehemalige Judengasse grenzend, pflegte man hier die Nachbarschaft zu Frankfurts jüdischen Mitbürgern, die sich nach Aufhebung des Ghettozwangs im ihnen gut vertrauten Viertel bevorzugt niederließen. Der Nationalsozialismus bescherte dieser Blütezeit ein Ende.

Die ‚Allerheiligen Gaß‘, benannt nach der Kapelle von 1366 nahe dem Rieder Tor (zeitweise Hanauer- und schließlich Allerheiligentor), war mehr als nur ein Handels- und Transportweg für Güter aller Art vorwiegend aus den Städten, Ländereien und Agrargebieten, die östlich der bis 1809 bestehenden Stadtbefestigung vor Frankfurt lagen. Viel an Geschichtsträchtigem, das sich in diesem Viertel abspielte, muss noch erzählt werden und erfordert noch mehr an intensiver Detailarbeit, die zu gegebener Zeit in einer Ausstellung gebündelt werden soll.

„Die Allerheiligenstraße? Ja sicher, da ist doch dieses seltsame Haus mit diesen Türmchen und den aufgemalten goldenen Bögen – das kennt doch wirklich jeder!“

Petra Pfeuffer, am Rande des Nordschwarzwaldes in Pforzheim aufgewachsen, machte auch hier die ersten beruflichen Erfahrungen als Dramaturgie- und Regieassistentin am heimatlichen Stadttheater. Zunächst den Wohnsitz quer durch die Republik dahin verlegend, wo sie ihren Verpflichtungen als Dramaturgin und als Kommunikatorin für Schauspiel, Tanz, Musiktheater und internationale Showformate nachging, fasste sie in den 1990er-Jahren dann den Entschluss, sich in der quirligen Kulturmetropole Frankfurt am Main ihren Lebensmittelpunkt zu schaffen.

Die Wahl der jeweiligen Wohnumfelder – vom ursprünglichen Teil des Gutleutviertels via Innenstadt bis aktuell ins zentrumsnahe Ostend – war nicht nur der Option geschuldet, berufsbedingt höchstmögliche Flexibilität gewährleisten zu können, sondern in einem ebensolchen Maß davon bestimmt, den unverwechselbar urbanen und multiethnisch ausgeprägten Pulsschlag dieser Stadt zu spiegeln. Seit 2014 freischaffend als Lektorin sowie Autorin und Übersetzerin im Kontext Bühne tätig, zeichnet Petra Pfeuffer zudem verantwortlich für Kreativ-Konzept und Management von Veranstaltungen verschiedenen Formats.