Vieles in diesem Buch ist wenig oder gar nicht bekannt. Die meisten Passanten, die heute über die Fressgass laufen, denken, diese sei schon seit Ewigkeiten eine breite Fußgängerzone. Dabei ist es gerade einmal vierzig Jahre her, dass die Autos aus ihr verbannt wurden. Bei einer Geschichte, die im Mittelalter beginnt, ist das kein langer Zeitraum. Die erste Erwähnung der Bockenheimer Gass, wie die Fressgass damals hieß, findet man in der Liste des Baldemar von Petterweil aus dem Jahr 1350. Damals lag hier vor den Toren der alten Staufenmauer der Schweinemarkt.
Mit der großen Stadterweiterung, die mit dem kaiserlichen Privileg aus 1333 begann, lag die Bockenheimer Gass dann in der sogenannten Neustadt zwischen der alten und der neuen Stadtmauer. Sie führte zum Bockenheimer Tor und war eine belebte Ausfallstraße in Richtung Westen, sie war schmal und wurde mit gotischen Häusern immer dichter bebaut. Mit der Schleifung der Wallanlagen anfangs des 19. Jahrhunderts veränderte sich das Bild der Straße wesentlich.
Die gotischen und barocken Häuser wichen vielfach klassizistischen Bauten und diese anschließend den Gründerzeithäusern der wilhelminischen Zeit. Mit der rasanten Entwicklung Frankfurts in der Gründerzeit nahm der Anteil der Lebensmittelgeschäfte in der Straße auf rund zwei Drittel aller Geschäfte stark zu. Vorher und auch heute wieder machten diese nur ein Drittel aus. So gab es beispielsweise um die Jahrhundertwende zwölf Metzgereien in dieser Straße. Die Bockenheimer Gass wurde zum Bauch des neu entstandenen vornehmen Westends.
Aus dieser Zeit stammt der Name Fressgass, der nicht die offizielle Adresse und schon gar nicht althergebracht, sondern erst seit ungefähr einhundert Jahren im Gebrauch ist – anfangs selten, heute fast ausschließlich. Über Hunderte von Jahren wurde sie Bockenheimer Gass genannt, und auch heute steht sie als Große Bockenheimer Straße und Kalbächer Gasse im offiziellen Stadtplan.