Prozessschriften, die sich in Bibliotheken fanden, wiesen darauf hin, dass es sich bei ihr um eine Persönlichkeit handeln musste, die zu ihren Lebzeiten durchaus der damals entstehenden Öffentlichkeit bekannt war. Für die Arbeit über Groß-Gerau war das nebensächlich. Gleichwohl reifte in mir der Plan, mich einmal etwas näher mit Maria Kunkel auseinanderzusetzen. Die Gelegenheit bot sich im Rahmen des Projekts Stadtteil-Historiker.
Bei der weiteren Arbeit stellte sich heraus, dass die Hofrätin Kunkel „ein auf die Schaubahn des ganzen Reiches getretenes kühnes Weib“ war. Denn sie war in einen spektakulären Ehekonflikt verwickelt, in dessen Verlauf sogar höchste Instanzen des Reiches eingebunden waren. Maria Kunkels Leben war über Jahre hinweg ein verzweifelter Kampf einer bürgerlichen Frau um das Recht, ihr Leben nicht von anderen bestimmen zu lassen.
Sie behauptete sich gegen ihren Ehemann, seine mächtigen Unterstützer, darunter der Kurfürst von Trier, und das bestehende Recht, wie es einerseits im geistlichen Bereich von der katholischen Kirche und andererseits im weltlichen Bereich vom Kaiser vertreten wurde. Allerdings erhielt die Hofrätin Kunkel dabei ihrerseits Unterstützung von den evangelischen Mächten im Reich. Deshalb gibt die Lebensgeschichte der Hofrätin Kunkel zugleich auch einen Einblick in die inneren Verhältnisse des Reiches in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.