Die Ergebnisse des Projekts über die Oberräder Gärtner sind in einem Buch niedergelegt: „Oberräder Erinnerungen, auch in Mundart: Der Wandel im Gärtnerdorf, 1600–2012.“ Hier ein Auszug:

Führung durch die Oberräder Felder mit Günter Jung

Der Treffpunkt der Führung ist die Straßenbahnhaltestelle Balduinstraße der Linien 16 und 15. Dort wird die Gruppe der Besucher in Empfang genommen und über die Offenbacher Landstraße in Richtung Norden zu den Gemüse- und Kräuterfeldern geleitet.

Dort ist die Begrüßung: „Mei sehr verehrte Dame un Herrn: Ich begrüüs sie herzlisch zu unserm heutische Rundgang in die Oberreeder Felder auf den Spurn der ,Grie Soss‘. Mer steen hier uf de verlängerte Balduinstraß, auf em Feldweech, welcher aach gleichzeitisch de Grenzweech von Oberrad un Sachsehause is. Wenn se in westlicher Richdung schaue, habbe se en herrlische Bligg uf die Hochhäuser von Frankfort. Wenn se abber nach Oste gugge, lied des wunnerscheene Oberrad mit seine Gemüsefelder in e Größ von ca. 120 Hektar in seiner ganse Schönheit in ihrm Bliggfeld. Rechts im Hinnergrund könne se des Dengmal der Frankforter Grie Soss erkenne. Dorthi wandern mer jetz dorch die vor uns liechende Felder.“

»Der mecht aus em Forz en Donnerschlaach«

Wenn jemand bei einer Unterhaltung ein Vorkommnis erfährt, dies aber später an einem anderen Ort sehr viel dramatischer weitererzählt.

Durch Gärtner angelegte Brunnen

Die im nördlichen Teil von Oberrad gelegenen Felder der Oberräder Gärtner hatten in den ersten Nutzungsjahren keinen Bedarf an zusätzlicher Bewässerung. Durch die Kultivierung und Pflege des Bodens ließen sich immer mehrere Ernten pro Jahr erzielen. Als aber ab 1900 durch verschiedene Eingriffe und Baumaßnahmen ein Teil der vorhandenen Wassergräben verschwand, musste man über eine zusätzliche Wassergewinnung nachdenken. Es ist bekannt, dass in den Gehöften im Ortskern viele gemauerte Brunnen vorhanden waren, die ab der Entstehung von Oberrad errichtet wurden. Wasser zu finden war leicht, da Oberrad mit Quellflüssen, die vom Wald in Richtung Main flossen, reich gesegnet war und auch immer noch ist. Da es in heutiger Zeit keine Brunnenbauer mehr gibt, mussten die Gärtner ihre Brunnen selbst graben. Nach der Flurbereinigung, 1956, bekamen die Gärtner größere Flächen zugewiesen, die eine künstliche Bewässerung notwendig machten. Es blieb also keine andere Wahl, als einen Brunnen auf dem Grundstück selbst zu graben. Vor Beginn der Arbeiten musste aber festgelegt werden, wo man auf eine Wasserader treffen kann.

„Mir mit unserm Gaddebaubetrieb an de Hoffeldstraaß geleche, hatte des Glick, daß unser Nachber, de Walter Held von de Kochstraaß 85, die Fähichkeit hatte, mit de Winschelrut Wasser zu suche. Also fuhr ich mit em am friehe Morje an de Maa. Dort suchte mer an der Beschung des Flusses an em Weidebusch e Astgabbel von ca 50 Centimeder Leng un ner Aststerge von zwa Centimeder“.

Mit dieser Wünschelrute aus Naturholz wurde kreuz und quer langsam über die Felder gelaufen, die zwei oberen Astenden je in einer Hand, das untere Ende mit angewinkelten Armen waagrecht nach vorne gehalten. Plötzlich fing die Wünschelrute an zu zittern. Nun noch viel langsamer gegangen, wurde das Zittern stärker, bis sich die Rutenvorderseite senkrecht nach unten zog und auf die Erde zeigte. Hier wurde ein kleiner Holzpfahl eingeschlagen. Um diese Stelle noch sicherer zu bestätigen, ging der Wünschelrutengänger von allen vier Himmelsrichtungen erneut auf sie zu. Aber wie tief musste man graben? Um das herauszufinden, ging der Wünschelrutengänger den Punkt erneut an. Der Fund gelang.

Im Jahre 1900 ernährten sich noch circa 400 Gärtnereien von dem fruchtbaren Boden, 1970 waren in der Gärtnervereinigung Oberrad noch 63 Gärtnerbetriebe zusammengeschlossen. 2012 gab es nur noch elf Betriebe.

Bernd Heid war lange Jahre als Arbeitsingenieur bei der Degussa in Frankfurt am Main beschäftigt. Seit seiner Pensionierung beschäftigt er sich leidenschaftlich mit der Stadtteilgeschichte, wobei ihm sein mittlerweile ehemaliger Wohnort Oberrad besonders am Herzen liegt. Der Stadtteil-Historiker ist im Heimatverein Oberrad im Vorstand aktiv und hat viele Ausstellungen ehrenamtlich erarbeitet und betreut. Gemeinsam mit dem „echten“ Oberräder Günter Jung hat er sich auf die Suche nach Erinnerungen an das alte Gärtnerdorf begeben und eine lebendige Geschichte zutage gefördert, deren Zeugnisse mehr und mehr verschwinden. Nur noch wenige Betriebe von ehemals Hunderten sind übrig geblieben, dennoch wird weiterhin Obst und Gemüse in Oberrad angebaut. Und wer weiß: Vielleicht ist ja die Hinwendung zu regionalen Produkten ein gutes Zeichen auch für das alte Gärtnerdorf vor den Toren Frankfurts. Gleichwohl ist Bernd Heid und seinem Mitstreiter Günter Jung klar: Das Rad ist nicht zurückzudrehen, der strukturelle Wandel geht seinen Gang. Wie gut, dass die Erinnerungen jetzt in einem schönen Band vorliegen – auch in Mundart, die es mindestens ebenso wert ist, erhalten und erinnert zu werden.