Wer bin ich? Woher komme ich? Wie bin ich so geworden, wie ich jetzt bin? Das sind zentrale Fragen, welche die Menschen seit je beschäftigen. Menschen mit jeder Form von Migrationserfahrung sind mit diesen Fragen besonders konfrontiert. Sie haben jedoch kaum adäquate Möglichkeiten, sich über ihre Lebenserfahrungen vor, während und nach der tatsächlichen Migration auszutauschen.
Ein Grund für eine kreative Biografie- und Erinnerungswerkstatt in einer multikulturellen Stadt wie Frankfurt ist der, eben diesen Menschen und auch anderen einen vertrauten Raum anzubieten, in dem jeder Interessierte die Möglichkeit hat, in der Gruppe über seine Lebenserfahrungen und Erinnerungen nachzudenken und darüber zu sprechen.
Das Erzählen in der Gruppe dient dazu, Menschen miteinander in Kontakt zu bringen, um ihre Lebenserfahrungen untereinander auszutauschen und sich über diesen Prozess zu vergewissern, welche Wege sie in ihrem Leben gegangen sind. Die Menschen setzen sich sowohl im Erzählen als auch im Zuhören mit ihren Geschichten auseinander.
Die eigene Lebensgeschichte aus neuen Perspektiven zu betrachten und mögliche Wege für anstehende Entscheidungen abzuleiten erfordert eine aufmerksame Herangehensweise. Sie ermöglicht den Akteuren, ihre Kompetenzen und Ressourcen wieder neu zu entdecken und sie für jetzt und für die Zukunft aktiv einzusetzen, sowie voneinander zu lernen und die eigene Identität zu stärken. Nach dieser Methode führte ich im Rahmen des Projekts „Stadtteil-Historiker“ einen einjährigen Workshop durch, aus dem eine Publikation hervorging.
Letztendlich geht es bei dieser Arbeit also nicht unbedingt darum, die eigene Lebensgeschichte zu problematisieren und schmerzhafte Erfahrungen, verpasste Chancen oder Defizite zu erkennen und eine Lösung für ein „Problem“ herbeizuführen. Vielmehr ist für mich wichtig, dass Erinnerungen und Erfahrungen, insbesondere diejenigen, in denen die Akteure aktiv waren und erfolgreich ihr Leben gestalten konnten, als Ressourcen und Kompetenzen wahrgenommen werden, die für das heutige und zukünftige Handeln unerschöpflich nutzbar gemacht werden können. Der Akteur hat die Möglichkeit, durch Interaktion in der Gruppe andere Lebensformen und Lebenswege kennenzulernen und nachzuvollziehen, wie jeder innerhalb der Gruppe so geworden ist, wie er jetzt ist.