Ich sah nicht nur den Turm, sondern unmittelbar daneben einen enormen Scherbenhaufen. Er war aus dem Turm geborgen worden. So viele Scherben auf einem Haufen hatte ich noch nicht gesehen.
Das zerschlagene Geschirr stammte aus dem „Irrenschloss auf dem Affenstein“, der von Heinrich Hoffmann, dem „Vater“ des „Struwwelpeter“, 1859 – 1864 vor den Toren der Stadt auf dem Affensteiner Feld errichteten Frankfurter Psychiatrischen Klinik. Das „Irrenschloss“ wurde 1929 abgebrochen und das Gelände planiert der I. G.-Farben-Industrie übereignet. Am 25. November 1901 war die aus Kassel stammende 51-jährige Auguste D., geb. H., in die Klinik aufgenommen worden. Der Oberarzt der Klinik, Dr. Alois Alzheimer, diagnostizierte an ihr die später nach ihm benannte Krankheit. In der 1995 wieder aufgefundenen Krankenakte hatte er seine Beobachtungen an der Patientin minutiös protokolliert. Von der Alzheimer-Krankheit sind heute in Deutschland schätzungsweise 60 Prozent der circa 1,6 Mio. Demenzkranken betroffen.
Mit den 2008 zutage geförderten Scherben assoziierte ich sowohl „Alzheimer“, die „Krankheit des Vergessens“, als auch die Patientin Auguste D. Für mich war hier nicht nur ein Stück Medizin- und Frankfurt-Geschichte sichtbar geworden, sondern auch ein Einzelschicksal. Auguste D. war zwar nicht Subjekt der Geschichte gewesen wie Alois Alzheimer, sie hatte nicht wie dieser aktiv gehandelt, sondern ihr Schicksal bloß erlitten, aber ohne sie hätte Alzheimer seine medizingeschichtlich bedeutsame Entdeckung nicht machen können. Wenn auch die Begegnung des forschenden Arztes mit seiner Patientin nur zufällig war, so sind doch die Biografien der beiden eng miteinander verknüpft. Auguste D. hat es deshalb verdient, wie Alzheimer als Person der Geschichte eigenständig wahrgenommen und in Frankfurt mit einem Denkmal gewürdigt zu werden.